Das einfache Leben

Unbenannt

 

Wir haben am Wochenende etwas Camping gemacht. Im Zelt. Auf einem Campingplatz. Am Meer. Das fällt also klar unter “was tut man nicht alles für die Kinder”, manchmal staunt man über sich selbst. Wir haben uns extra ein neues Zelt gekauft, ein etwas gigantomanisches Wurf-Zelt, das baut sich praktisch alleine auf, es ist wirklich beeindruckend. Zehn Minuten und man kann einziehen. Also was man beim Camping eben so Einzug nennt.  In Wahrheit ist es bekanntlich so, dass man neben seinem Zeltplatz parkt, eine Autotür öffnet und sich genau von diesem Augenblick an irrsinnig viele Gegenstände aus dem Auto heraus scheinbar eigenmächtig über den Platz verteilen, es ist eine Art Explosion des Zubehörs. Ab der zweiten Minute nach der Ankunft sucht man schon irgendetwas, ab der dritten sind auch die Kinder aus dem Auto gestiegen und mit Zeug in beiden Händen Richtung Strand durchgebrannt. Was hatten die beiden jetzt gerade in der Hand? Wasserpistolen oder Trinkflaschen? Wo sind eigentlich die Heringe? Wo ist der Autoschlüssel? Wo die Sandalen? Und wo die Herzdame? Ah, da. Mit dem Kopf im Gebüsch, die sucht auch irgendwas.

Man sammelt alles wieder zusammen, man baut auf, richtet ein, kramt herum, sortiert, wirft alles ins Zelt. Dann macht man das Zelt von außen zu und wenn man vorsichtig das Ohr daran hält, dann kann man hören, wie die Gegenstände darin leise durcheinanderkrabbeln, sich verwirren, verknoten, verschieben und umschlingen. Nach einer Stunde ist alles nur noch ein amorpher Haufen Ausrüstung, in dem das Gesuchte immer ganz unten liegt. Man kommt am einfachsten ran, wenn man alles andere noch einmal rauswirft, so dass vor dem Zelt bald schon wieder ein Teppich aus Dingen liegt, der an den Seiten ausfranst, wo die Kinder spielen. Die Kinder finden andere Kinder, die nehmen auch irgendwas mit oder schleppen irgendwas an, ich denke unwillkürlich an Ameisenkolonnen, die Blätter und Beute herumtragen, und wem gehört denn bloß dieser Eimer?  Hello Kitty? Hä?

Wir liegen im Gras, die Sachen liegen im Gras und weiter unten schwappt die Ostsee herum. Wir raffen Dinge zusammen und schleppen sie zum Strand. Die Dinge stürzen sich in den Sand und graben sich ein, es ist unheimlich, was sie hier für ein Eigenleben führen. Aufblasbare Spielzeuge wehen völlig losgelöst Richtung Lübecker Bucht, Sand kriecht in Trinkflaschen und Kekspackungen. Über allem ein penetrant süßer Geruch nach Heckenrosen und Sonnencreme und Kindheit, und wenn der Wind richtig steht, dann riecht es auch ein wenig nach Meer. Der Weg zu den Toiletten ist weit, der zum Kiosk erst recht. Das Auto steht in der anderen Richtung und essen wollen wir später bei den Freunden mit dem Wohnwagen, das ist dann wieder woanders. Die Herzdame, die Söhne und ich ziehen in verschiedenen Richtungen und mit verschiedenen Bedürfnissen über den Platz. Jeder trägt irgendwas mit sich herum, mit einiger Sicherheit ist es das, was ein anderes Familienmitglied gerade sucht. Ein Geduldsspiel könnte man sich nicht vertrackter ausdenken.

Die Sonne brennt. Das ist ein Satz, mit dem in diesem Jahr keiner mehr gerechnet hat, aber sie brennt tatsächlich, also suchen wir auf dem Campingplatz nicht nur Zeug und die anderen, wir suchen auch noch Schatten. Wir suchen Zeug, Angehörige, Schatten und etwas Essbares. Und Trinkwasser. Wenn man am Strand im schmalen Schatten der schützenden Sonnenmuschel liegt und Durst hat, muss man erst zurück zum Zelt, um die Flasche zu holen, die man vergessen hat. Nur um im Zelt zu merken, dass die Flasche längst leer ist und man zum Kiosk muss, der natürlich in der anderen Richtung liegt. Man geht zum Kiosk, ganz langsam, denn es ist heiß. Man kauft Wasser und trinkt auf dem Weg zum Strand schon einmal die halbe Flasche aus, das gluckert nur so weg. Wenn man am Strand angekommen ist, muss man bereits auf die Toilette, aber die ist da ganz hinten. Und das geht immer so weiter, jede Handlung ist absurd verworren, unpraktisch und heillos verkompliziert. Jedes Bedürfnis wird hier zur Aufgabe oder zum Strategiespiel, denn wir müssen bei allem auch noch Wertsachen und Kinder im Auge behalten. Das Handy hat keinen Empfang, das fällt als Hilfsmittel aus. Wenn die Herzdame außer Sichtweite ist, dann war es das mit der Abstimmung. Ich kann ihr natürlich ein Kind hinterherschicken, aber ich weiß nicht, ob es mit erfülltem Auftrag wieder zurück kommt oder vielleicht mit drei anderen Kindern oder einem gefundenen Hundewelpen oder einem toten Fisch im Zustand fortgeschrittener Verwesung.

Alleine für das Frühstück mit Familie und Freunden und deren Kindern brauchen wir fast drei Stunden inklusive Vorbereitung und Abwasch. Die anderen Mahlzeiten gestalten sich ähnlich langwierig und dann gehen wir ins Bett, das dauert auch fast zwei Stunden bis alle geduscht sind, umgezogen, eingetütet. Zack, Tag vorbei. Und weil ich es eh nicht ändern kann, ergebe ich mich schon gleich nach dem Aufwachen in dieses seltsam veränderte Leben. Ich gebe alle Eile auf und denke nur noch bis zum nächsten Kaffee, bis zum nächsten Reißverschluss, bis zum nächsten Wasserhahn, bis zum Grill. Ich mache im Grunde gar nichts, abgesehen von der Befriedigung elementarer Bedürfnisse, und sie kosten mich tatsächlich den ganzen Tag.  Das ist dann allerdings ein Tag, den ich wundersam entspannt verbringe, weil ich morgens schon weiß, dass ich sowieso nichts erreichen kann, außer am Abend wieder da zu liegen. Auf der Isomatte im Zelt, in dem der Rest der Familie schon schläft. Mehr ist nicht zu gewinnen. Das ist wirklich einfach und fühlt sich ungewohnt gründlich nach Urlaub an.

Vielleicht ist das der eigentliche Charme des Campings. Man macht sich das Leben künstlich so heillos kompliziert, dass alles plötzlich wieder ganz einfach ist. Ich habe es geschafft, einen Schluck Wasser zu trinken. Ich habe meine Schuhe gefunden. Ich habe in Ruhe eine Tomate gegessen. Hey, toll.

 

22 Kommentare

  1. Ich meine mich dunkel zu erinnern, dass das Abenteuer Camping irgendwie schon im heimischen großelterlichen Garten kein voller Erfolg war. Und trotzdem wagen Sie sich mit dem Zelt in die freie Wildbahn? Meinen Respekt an die Herzensdame ;o))

  2. Genau so geht das.
    Man muss uns zur Entspannung zwingen, ein Campingplatz am Strand ist dazu ideal.

    Gratuliere.

  3. hmm Herr Buddenbohm, waren Sie nicht der Traeumer, der unbedingt Camping-Urlaub machen wollte? wie Petra schon sagte, sogar geuebt im Garten? War da nicht eine WoMo-Recherche im Anschluss? ;O) Also doch eher nicht so der Freiheitstraum? ;O)

  4. Ich hab es ja schon geahnt: Es gibt gute Gründe, warum unsere Urmütter und Urväter die Sache mit den Zelten zu Gunsten von Häusern aufgegeben haben.
    Wunderbar beobachtet und beschrieben!

  5. Ach, wie schön… das steigert meine Vorfreude auf den bevorstehenden Campingurlaub in zwei Wochen ins Unermessliche.
    Ich campe schon seit Jahrzehnten gerne und freiwillig und liebe eben genau das daran, dass man sich gar keinen Stress mehr machen muss und sowieso, wenn alles zu blöd ist, fährt man einfach weiter und das Spiel beginnt von Neuem!
    Bei uns herrscht allerdings nie dieses Chaos… Kisten, die thematisch sortiert sind, helfen da ungemein weiter! Und wenn nicht, ist es doch auch mal schön, so ein Freiluftfrühstück über mehrere Stunden – ich mein, wann nimmt man sich für sowas schon mal die Zeit dazu?!
    Mit kleinen Kindern war ich allerdings noch nicht unterwegs, vielleicht ist das die Hardcorevariante. Pubertierende Mädels, auf deren Haarbürsten man im Halbdunkel gerne tritt, sind allerdings auch nicht so der Traum eines Urlaubs.
    Mein Tipp: Fahren Sie öfter campen, dann pendelt sich ein logischer Verhaltensablauf ein und man kann die kleinen Dinge noch mehr genießen!

  6. Haha, so isses. Und drei Stunden Frühstück und die anderen Mahlzeiten auch, so soll’s sein. Ich schreibe das übrigens von einem Wohnwagen aus. Mit Söhnen, die spülen, weil ich koch ja schon. aber der Tipp mit den Kisten ist gut, vor allem wenn die I’m Auto bleiben. n. Aber derder Tipp mit den Kisten ist ein guter, vir allem wenn die

  7. Pardon, Campingwirrwarr. Respekt noch, das alles nur für ein Wochenende mitzumachen (die Dinge brauchen ein paar Tage um ihre Wege zu finden) und trotzdem das Zeltzen zu erreichen.

  8. Unglaublich, dass man solche Texte im Camping Raum-Zeit-Vakuum schreiben kann. Bestimmt hat sich Herr Buddenbohm dazu an die Camping-Bar verdrückt.
    Ich hätte ja gerne geklickt, wo ist der Flattr Button?

  9. Sehr schön beschrieben. Vor ein paar Jahren fuhr ich mit Freunden durch Norwegen und die ganze Reise war eine einzige Suche nach Kram, der in den Tiefen des Minibusses herumflog. Irgendwann hab ich allen anderen Leuten verboten, den Kofferraum auch nur anzufassen und hatte daraufhin wenigstens eine grobe Ahnung, wo eigentlich was vor ein paar Stunden mal gewesen sein könnte….

    Naja. Also im Großen und Ganzen ist Camping nicht so meins 😉

    Der Artikel ist trotzdem große Klasse!

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit exceeded. Please complete the captcha once again.