Was schön war

Ich wohne zwischen diversen Hotels, darunter auch solche mit etlichen Sternen. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, überholen mich links und rechts menschliche Rollkofferzugpferdchen (das Wort habe ich irgendwoher, aber ich komme nicht mehr darauf, wo das war) im zügigen Trab, das ist normal. Die müssen von den Hotels zum Bahnhof, zum Zug, zum nächsten Einsatzort, zur Arbeit, wichtig, wichtig. Wenn man einen Film über erfolgreiche Consultants drehen würde, man könnte sie alle vom Fleck weg casten, die mich da überholen, immer die gleichen Anzüge, Kostüme, Frisuren, immer die gleichen Rollkoffer.

Seltener kommt es vor, dass mir so ein Exemplar entgegenkommt. Aber das passiert auch, da strebt dann jemand vom Bahnhof zu den Hotels, das erste Meeting dort in den Konferenzräumen findet vielleicht in aller Frühe statt. Und fast immer ist es so, dass diese Menschen es dann sehr eilig haben, also geradezu panisch eilig. Denn ich bin um kurz vor acht auf Straße, das ist aber vermutlich auch die Uhrzeit, zu der das wichtige Meeting pünktlich beginnt. Da muss man also die Beine in die Hand nehmen, wenn der Zug etwa Verspätung hatte oder die Deppen im Back-Office sich beim Fußweg wieder dezent verkalkuliert haben.

Ich biege um die Ecke zum Bahnhof, da kommt mir eine junge Dame im Businesskostüm entgegen, dem Sound der Pumps nach zu urteilen in der anatomisch überhaupt nur möglichen Höchstgeschwindigkeit. Sie zieht den obligatorischen Rollkoffer mit beiden Händen hinter sich her, er ist etwas ungewöhnlich groß und schwer, da ist sicher nicht nur ein Notebook drin, eher auch noch ein Beamer und Gott weiß welches Gerät. Sie wirft sich nach vorne, sie trabt im Stakkato. Einen gestreckten Galopp lässt die Kleidung nicht zu, außerdem ist der Boden etwas glatt. Sie trägt das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und der wippt im Laufen, ein Band darin leuchtet rot in den grauen Werktagswintermorgen. Und für eine Sekunde sieht es aus wie ein Rollenspiel, Frau vor Sulky, Mensch im Gespann. Die Absatzgeräusche auf dem Kopfsteinpflaster wie albernes Kokosnussgetrappel, das Rattern des Koffers wie Kutschenimitat im Kinderhörspiel, hüh, mein Pferdchen, lauf, lauf.

Die Grundschüler hier im Stadtteil spielen das mit nie nachlassender Begeisterung in den großen Pausen auf dem Hof, die ziehen Tretautos und Schülerinnen hinter sich her, trabend und wiehernd, sie laufen im Kreis und scharren mit den Hufen, wenn man sie irgendwo stehen lässt. Manchmal bekommen sie von den kleinen Kutschern auch ein Zuckerchen, das sie noch nicht Bonus nennen.

Und aus reiner Aversion dagegen, selbst auch so albern eingespannt zu sein, bin ich dann nicht ins Büro, sondern erst einmal ins Café gegangen. Ich habe dort in bockiger Langsamkeit einen Kaffee getrunken, die Wand angeguckt und sonst überhaupt nichts gemacht. Lange. Also genau einen Kaffee lang. Und das war schön. Ein Trotzkaffee, warum auch nicht.

Danach musste ich natürlich wie irre zur Arbeit rennen, eh klar. Aber egal. Diese zehn Minuten waren schön und ungeheuer selbstbestimmt. Sie werden das sicher verstehen, so unter uns Autonomen.

13 Kommentare

  1. Der Revoluzzer in uns allen, einmal kurz aus der Tretmühle ausscheren, und wenn nur für zehn Minuten. Muss reichen, tut es meist auch. Schöne Geschichte, ich wünsche einen entschleunigten 2. Advent.

  2. „… wie albernes Kokosnussgetrappel… “
    Naja, nicht alles was hinkt – ob auf zwei, vier oder mehr Beinen -, ist ein Vergleich. 😉

  3. Ich finde es faszinierend, dass es noch Menschen gibt, die das wahrnehmen, was außer ihrem Smartphone auf unserer Welt existiert…wunderbar!

  4. Hach wie wunderschön.. Ein Trotzkaffee! Der sollte wahrlich öfter getrunken werden!

    Herzliche Grüße und danke für diesen schönen Artikel!

  5. #trotzkaffee ist großartig. Nachteile des Home Office: Man kann seinen Trotzkaffee nicht ohne Weiteres im Café einnehmen. Vorteile desselben: Man kann einfach ohne Laptop und Telefon in die Küche gehen und den Kaffee dort in Ruhe einnehmen.

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