Familien-Kanban Teil 4

Die Herzdame steht am Sonntagmorgen mit verschränkten Armen vor der planlos irrlichternden Familie, guckt besorgniserregend finster und zischt “Kanban!” In solchen Momenten klingt Kanban gar nicht mehr wie eine friedliche Methode der Prozesssteuerung, eher schon wie das japanische Wort für Angriff in einer fernöstlichen Kampfkunst. In einer Kampfkunst, in der die Herzdame zweifellos einen schwarzen Gürtel hat. Man sieht es an diesem Großmeistergesichtsausdruck, den man aus Actionfilmen kennt. Aber es geht ihr eigentlich nur darum, die Familie endlich vor dem Kanban-Board zu versammeln, um Ordnung ins Chaos zu bringen, Struktur und Planung ins fast schon verloren gegebene Wochenende. Wir haben es gestern bereits nicht geschafft, hier irgendwas zu ordnen, der Haushalt kippt schon wieder bedenklich in Schräglage, da muss also dringend gegengesteuert werden. Was aber komplett sinnlos ist, wenn doch gerade die in der letzten Woche aus dem Keller geholte Weihnachtskiste geöffnet wurde, aus der jetzt Unmengen an Deko aufs Sofa quellen. Glitzerhirsche, Kerzen, Weihnachtsmänner, Engelchen, Goldsterne und Glöckchen, die alle dringend in der Wohnung verteilt werden müssen. Eine Aufgabe, die den Söhnen am ersten Advent heilig ist, eine Tätigkeit, die gewissermaßen vollkommen alternativlos ist.

Und da muss man von seinen Kanban-Plänen auch einmal Abstand nehmen. Oder, um es doch wieder wirtschaftlich zu formulieren: Man macht eben keine Betriebsversammlung an einem Feiertag. Womöglich ist die Adventszeit auch generell gar nicht geeignet für Prozessoptimierung, das gilt vermutlich privat wie im Büro. In der Adventszeit bereitet man mit letzter Kraft den Jahresschluss vor, man geht in Terminen unter und zählt die Stunden bis zum letzten Arbeitstag des Jahres, während die Zahl der noch anwesenden Kolleginnen im Büro nach und nach ausdünnt und die Abwesenheitsassistenten in den Mails immer öfter schon auf das nächste Jahr verweisen. Man wirbelt hektischer denn je herum, hat mehr Teller in der Luft als jeder jonglierende Zirkusclown und phantasiert Beleidigungen für Leute, die irgendwas von “stiller Zeit” und “Besinnung” faseln. Und man denkt sich vage und eher nebenbei, dass man ja im Januar vielleicht mal wieder irgendwas besser oder auch nur irgendwie anders machen könnte, mit dann womöglich neuer Motivation – während man mit jedem Tag im Dezember immer weniger Lust hat, überhaupt noch etwas zu machen. Denn so läuft es doch in der Adventszeit, im Endspurt des Jahres, in der Schussfahrt auf die Feiertage zu: Ankommen ist alles. Und dabei kann man es auch belassen, nehme ich an. Kanban hin oder her.

2 Kommentare

  1. Blog Nr. 1 beim Lesen mit Morgenkaffee. Super!
    Ganauso erlebe ich den Endspurt des Jahres auch. Ich hoffe nur, dass sich die Anzahl der Weihnachtsfeiern dieses Jahr in Grenzen hält.

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