Hamburg-München (2)

Der Zug hielt in Fulda und ich hatte also tatsächlich die Gelegenheit, den hier erwähnten Tweet zu posten, das kam dann doch wesentlich schneller als gedacht. Wobei ich gerne zugebe, dass er so ein Kracher nun auch nicht ist, aber er ist eben alles, was ich zu Fulda überhaupt habe.

 

Abgesehen von dieser Szene weiß ich von Fulda rein gar nichts mehr, es ist schon ein paar Jahrzehnte her. Es war da hügelig – mehr fällt mir nicht ein. Ich habe mir Bilder der Stadt angesehen, nichts kommt mir bekannt vor. Aber auf Klassenfahrten interessiert man sich auch nicht für Gebäude. Ich weiß natürlich noch gut, wie das Mädchen aussah, in das ich verliebt war. Ich sehe sie noch vor mir, schlafend im Bus, wie das Haar ein wenig über ihr Gesicht fiel, wie ihr T-Shirt an der Schulter etwas verrutscht war, wie ihre Finger beim Einschlafen an der ledernen Halskette spielten. Und ich erinnere mich noch an die Musik, an dieses damals dauerpräsente Vamos a la playa, an Everything counts von der Gruppe Depeche Mode, deren Mitglieder damals außerordentlich interessante Frisuren hatten, die allen Jungs sehr erstrebenswert schienen. Die Frisuren waren noch interessanter als die Musik, wenn ich so darüber nachdenke. Ich habe einen solchen Haarschnitt dann doch nie im Leben gehabt, das sind die kleinen Niederlagen.

Man kommt drüber weg, ich bin mit meiner Frisur heute ganz zufrieden. Und habe jetzt nach all der Zeit wieder einen gepflegten “Vamos a la playa”-Ohrwurm, das ist auch nicht schön.

Ansonsten wirbt Fulda heutzutage mit dem “Slogan “Barock & Business”, da fallen einem viele schöne Bilder ein, wenn man über diese Begriffskombination nachdenkt. Nach Burnout klingt das gewiss nicht, aber nach Potentaten in Konferenzraumsesseln, Durchlaucht in der Telco und absolutistischen Hierarchien.

Business Punk gibt es als Magazin für eher junge Menschen im Business, Business Barock könnte das Coffeetablemagazin für die älteren und erfolgreichen, die sogar sehr erfolgreichen Player sein. Hemmungslos herumprotzen, Vasallen herumscheuchen, sich gigantische Denkmäler bauen, in goldenen Kutschen fahren! Da geht doch was. Und wenn der Businessbarock dann irgendwann in ein neues Rokoko mündet und Schäferspiele im Großraumbüro aufgeführt werden – das könnte wirklich interessant werden. Aber so ist das natürlich nicht gemeint, schon klar.

Der Zug hielt dann noch außerplanmäßig in Ansbach, ich schrieb schnell einen Ansbach-Tweet – und konnte ihn nicht senden. Der Zug rollte schon wieder an, es waren nur noch Sekunden, bis das Netz vollkommen weg sein würde, wie bei jeder verdammten Zugfahrt in Deutschland, ich bekam schon etwas Panik. Da hatte ich gerade das Problem mit dem Fulda-Tweet gelöst, nur um einen mit Ansbach auf ewig in meinen Entwürfen zu haben? Was für eine Vorstellung! Er ging aber doch noch raus. In der allerletzten Sekunde. Ich weiß nicht, wie ich es sonst jemals wieder nach Ansbach geschafft hätte, um ihn loszuwerden, man will so etwas doch nicht lebenslang im Speicher haben.

Muss man zu Ansbach irgendwas wisssen? “Ansbach ist in Westmittelfranken”, das klingt fast so schön wie Nordostwestfalen. Immerhin!

Nach Ansbach wurde es minütlich immer wärmer im Zug, vielleicht war das doch noch das legendäre Klimaanlagenproblem im ICE, von dem man immer hört. Ein allgemeines Wegdämmern setzte ein, sinkende Augenlider wohin man auch sah, bis der Zug endlich München erreichte und schon ab dem Stadtrand nur noch in Schrittgeschwindigkeit fuhr, man konnte sich innerlich wirklich gründlich auf das Aussteigen vorbereiten. Den Teil mit der Gluthölle in der Stadt und den ähnlichen Beschreibungen lasse ich weg, das kann sich mittlerweile jeder denken. Heiß eben. Wie neuerdings fast immer. Die Familienkarawane zog mit den Gepäckstücken, die vermutlich immer noch sieben waren, sich aber so anfühlten, als hätten sie sich während der Fahrt vermehrt, durch den Bahnhof und suchte die Autovermietung. Die kann man in München lange suchen, die ist bemerkenswert gut versteckt und sicherheitshalber auch nicht ausgeschildert, da ist die Freude riesig, wenn man sie endlich findet. Klimatisiert ist sie, wer an heißen Tagen in München Abkühlung sucht, sollte einfach mal so tun, als würde er am Bahnhof ein Auto mieten wollen. Das erfrischt.

Wir wühlten uns durch den Papierkrieg und die Anmeldeprozedur, dann mussten wir weitergehen, nach “gleich da vorne”, wie die freundliche Dame von der Autovermietung so einladend sagte und vage in die Gegend vor dem Bahnhof zeigte. “Gleich da vorne” ist aber für schwer bepackte Familien ganz schön weit, ganz schön heiß, ganz schön anstrengend. Das gilt übrigens generell auf Reisen mit Kindern, all diese Wegbeschreibungen und Zeitangaben sind Unfug und unbrauchbar, man braucht für alles viel mehr Zeit als in den Reiseführern steht. Immer. Dramatisch viel mehr Zeit. Es ist nie etwas “gleich da vorne”, es sind nie “nur 5 Minuten”, man macht nie etwas “mal eben”.

Wir suchten das Parkhaus, wir suchten im Parkhaus das Auto, wir luden alles ein. Das dauerte erstaunlich lange, zumal wir auch noch Kindersitze einbauen mussten, es war ein endloses Gefummel. Als endlich alles fertig war, haben wir erst gemerkt, dass es das falsche Auto war, es war nämlich kein Automatikwagen. Ich bin in den letzten 30 Jahren nur Automatikwagen gefahren, ich habe nicht vor, im Urlaub wieder Getriebe zu studieren, womöglich noch am Berg. Automatik ist super. Ich habe nie verstanden, warum alle Deutschen so gerne schalten, ich halte das ja für einen seltsamen Kollektivklaps, aber egal.

Wir haben also alles wieder ausgeladen und die Situation mit der Autovermietung geklärt, zu der man natürlich erst zurückgehen musste, was noch einmal eine Dreiviertelstunde dauerte, in der die Kinder größtenteils etwas apathisch, hungrig und durstig im Parkhaus auf dem Boden saßen und München tendenziell ziemlich doof fanden.

Dann wurde uns ein anderes Auto zugewiesen – und das Auto, das einzige, das wir überhaupt noch bekommen konnten, war dann wohl der kleine ironische Schlenker des Schicksals, den ich mir durch meine Idee verdient hatte, einmal etwas umweltfreundlicheren Urlaub zu machen. Also ohne Flugreise. Auf einem Biohof. Mit Besichtigung von weiteren Biobetrieben, regionalem Handwerk usw., ich wollte einmal etwas ganz anderes machen, als Pauschalreisen mit Flug und Halbpension. Und das Auto für uns war dann kein sparsam-sinnvolles Familienauto, sondern ein fetter SUV. Denn die Götter haben bekanntlich Humor.

Wir fuhren durch München nur durch, ganz ohne etwas anzusehen, wir wollten schnell weiter nach Reichertshausen. Bericht dazu in Kürze.

Irgendwas in München

 

Nachtrag zu gestern: Hier eine Rezension zu Vea Kaisers Blasmusikpop, das ich während der Zugfahrt sehr zufrieden gelesen habe.

 

8 Kommentare

  1. Automatik ist super. Ich habe nie verstanden, warum alle Deutschen so gerne schalten.

    Da gibt es nichts zu verstehen, das stimmt einfach nicht. Der Marktanteil der Automatikgetriebe liegt in D ungefähr bei 50%. Und von den Schaltern schaltet nur ein Teil gern. Die anderen wollen sich den Aufpreis für die Automatik nicht leisten.

  2. Lieber Herr Buddenbohm,
    nachdem ich einst ein paar Jahre in der Nähe Ansbachs gewohnt habe, kann ich beisteuern, was man sich dort so über Ansbach erzählt: es sei „nur halb so groß wie der Zentralfriedhof New Yorks, aber halt doppelt so tot“.
    Ich weiß nicht, ob es besser ist, als die Geschicht mit der Telefonzelle, aber es kam mir, fast ohrwurmgleich, sofort in den Sinn.
    Schöne Ferien weiterhin,
    Eva

  3. Drei Monate hat es Anno 1973 gedauert, bis der Kampf zweier niederrheinischer Sturköppe entschieden war und mein erstes Auto ein Automatikgetriebe haben durfte.

  4. Guten Tag,

    ich habe Jahrelang in einer Autovermietung gearbeitet und kann aus Erfahrung sagen, dass die meisten Leute, die plötzlich Automatik statt Schaltgetriebe fahren sollen, panische Angst davor haben. warum das so ist, habe ich nie verstanden…

  5. @Benjamin: wieso „panische Angst“? Davon ist doch gar nicht die Rede. Schalten ist einfach anders, und wenn man Kinder hat und weiß wie anstrengend es ist mit einer kompletten Familie in unbekannter Landschaft zu fahren und der linke Fuß dauernd etwas machen will, was er gar nicht mehr machen muss, kann das auch schon mal gefährlich werden. Also, ich versteh das gut.

  6. @Benjamin Weil man mit dem linken Fuß ständige versehentlich auf die Bremse tritt und gleichzeitig versucht an diesem dusseligen Rührknüppel mit den unverständlichen Funktionen und Bezeichnungen (R+N-DPSBM WTF, Symbole und in alle möglichen Richtungen zeigende Pfeile) einen Schaltvorgang vorzunehmen, obwohl es nichts zu schalten gibt.

  7. Hach! Endlich jemand, der die gleiche Meinung, wie ich hat! Komme mir manchmal wie ein Exot vor! Automatik ist super und seit meinem Führerscheinerwerb fuhr ich nur Automatik-Autos!

  8. Vamos a la playa: singt nun seit gestern unaufhörlich in meinem Kopf vor sich hin. Manchmal singt es auch laut, mein Mann schüttelt ungläubig den Kopf, wie ich da drauf komme.
    Automatik: vielleicht hatte ich unausgereifte Modelle, wenn ich mal Automatik fahren musste – aber die Schaltung war einfach so lahm, dass ich wie eine Schnecke über die Kreuzung gekrochen bin, obwohl die Lücke eine eher sportliche Beschleunigung erfordert hätte; da schalte ich dann doch lieber selbst und entscheide, ob ich runterschalte vor dem überholen oder beim bergab fahren gerne die Motorbremse nutzen möchte.

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