Berlin (5)

Die Fortsetzung von diesem Text.

Wir gingen zum Alexanderplatz, den kann man wegen des Fernsehturms immerhin auch als Ortsunkundiger gut finden. Auf dem Alexanderplatz die Weltzeituhr, die ich den Söhnen nicht erklären konnte, das hätte ich vorher nachlesen müssen, um mal wieder Eindruck als allwissender Vater zu machen. Sie fanden sie aber ohnehin gänzlich uninteressant. Mitten auf dem Platz standen jungen Menschen neben Boxen mit beachtlicher Leistung und machten Musik, wobei die musikalische Leistung nicht ganz so beachtlich war, das war eher vollkommen beliebiges Eckengeschrammel. Dennoch saßen zu Füßen der Musiker ausgesprochen freundlich gesonnene Zuhörer, hörten interessiert zu und klatschten aufmunternd nach jedem Stück. Wie ich bereits schrieb, in Berlin waren alle auffällig nett, sogar das Publikum der Straßenmusiker.

Currywurst

 

Am Rand des Platzes eine Currywurstbude. When in Rome, do as the Romans do, wir wollten also als gute Touristen selbstverständlich auch in Berlin Currywurst essen. Während wir in der Schlange standen, fiel Sohn II auf, dass zwischen den Holzplanken vor der Wurstbude Geld steckte, und er bückte sich, um die Münze herauszufummeln. Wobei er merkte, dass daneben noch eine andere Münze steckte, daneben noch eine weitere – und dann dauerte es nur noch wenige Sekunden bis zur begeisterten Feststellung: “Hier ist alles voll!” Woraufhin auch Sohn I vor der Bude in die Knie ging und die beiden waren erst einmal eine halbe Stunde damit beschäftigt, mit Feuereifer Münzen zu bergen. All die Münzen, die den Erwachsenen da oben beim Bezahlen der Würste und Buletten abgestürzt waren, nach denen sich dann keiner mehr gebückt hat. Oder die von Erwachsenenfingern nicht mehr aus den schmalen Ritzen geholt werden konnten. Centmünzen, Fünfzigcentmünzen, Euromünzen, da war alles dabei. Die Söhne konnten sich von der Beute zwei Currywürste holen, die sie dann mit unfassbar dreckigen Fingern aßen, und sie konnten auch noch an einer am Rand des Platzes stehenden Rummelbude Bälle auf Dosen werfen. Wobei sie dann Plastikhandschellen gewannen und sich zusammenketteten. Das sieht man auf Reisen als Eltern auch ganz gerne, dann gehen sie nämlich nicht so schnell verloren, so im praktischen Zweierpack.

Im Moment lohnt sich das Absuchen dieser Currywurstbude übrigens nicht mehr, die Söhne waren wirklich gründlich.

Oranienburger Straße

 

Zurück zur Oranienburger Straße, es wurde allmählich spät. Dort dann endlich auch einmal metropoliges Gedränge, auf der Ausgehmeile saß man dicht an dicht, vor den weit geöffneten Fenstern und Türen der Restaurants und Kneipen. An den Häusern war wirklich alles geöffnet, was nur geöfffnet werden konnte, weit aufgerissene Häusermäuler schnappten nach Luft und nach Touristen. Irritierend, dass einige Restaurants sich zum Verwechseln ähnlich sehen, als würde man im Kreis immer um denselben Block laufen, oder als würden Kulissen immer wieder an einem vorbeigeschoben – guck, da kommt das indische Restaurant schon wieder.

Es war immer noch unsinnig warm, wir gingen in einen Kiosk, um Eis zu kaufen. In dem Kiosk zwei junge Männer, die die Verkäuferin nach einem Putzeimer und Wasser fragten, sie müssten was sauber machen. Sie würden das auch bezahlen, fünf Euro, okay? Zehn? Und die Verkäuferin, schon deutlich im Rentenalter, drahtig und mit energischer Ausstrahlung, verschränkte die Arme vor der Brust, sah die beiden jungen Männer lange und ernst an und fragte dann, ob sie vielleicht nicht ganz dicht seien. Bei der Hitze und am späten Abend putzen zu wollen? Noch bei Trost, die Herren? Und die Herren bestanden weiter höflich auf ihrem Eimer, denn das musste nun einmal sein, wirklich. Sie bekamen aber nur eine leere Plastikdose für 10-Cent-Süßigkeiten, mit der sie dann sichtlich unzufrieden, aber doch dankend abzogen. Die Jugend von Berlin, so höflich und reinlich.

Und damit endete der erste Tag in Berlin, denn ein paar Meter weiter fielen wir in die Hotelbetten. Das waren bis dahin etwa elf Stunden Berlin, genug für fünf Blogeinträge. So ist das, wenn man mal kurz die Umgebung wechselt, man sieht einfach wieder mehr. Und wir hatten tatsächlich diesen wunderbaren Effekt, den man den Texten im besten Fall anmerkt, die elf Stunden fühlten sich länger an, viel länger. Der Tag sauste nicht vorbei wie die Werktage in Hamburg, der Tag ließ sich Zeit, viel Zeit. Das ist ein banaler und bekannter Effekt, dass die Stunden langsamer fließen, wenn man aus dem Alltag raus ist, aber je älter man wird, desto schöner ist es. Es ist wunderbar, wenn man ins Bett geht und der Tag lang und voll war, wenn nicht alles immer im Handumdrehen vorbei ist. Es ist angenehm, wenn das morgendliche Aufwachen und Aufstehen nicht erst nur gefühlte Minuten her ist, wenn man wieder ins Bett geht. Sondern tatsächliche und echte sechzehn Stunden, die einem auch wie sechzehn anständige, üppig portionierte Stunden vorkommen. Mit allem und scharf.

Ich muss das wieder öfter so hinbekommen.

Fortsetzung folgt.

 

3 Kommentare

  1. Der letzte Absatz gefällt mir besonders. Das ist einfach so wahr … ich kenn das Gefühl auch, sogar ganz ohne Kinder. Die Arbeitstage und -wochen fliegen so abartig schnell vorbei. Und die Tage, wo man kaum glauben kann, dass man so viel an nur einem Tag erlebt hat, sind dann die, von denen man in der grauen Fastforward-Alltagswelt lange zehren kann.

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