Gelesen, vorgelesen, gesehen, gehört im März

Gelesen

Ted Thompson: Land der Gewohnheit. Deutsch von Susanne Höbel. Das hatte ich bereits in einem der Wirtschaftsteile kurz erwähnt, weil es in dem Buch auch um die Finanzkrise in Amerika geht, da wird sogar das Modell der Hypotheken erläutert – und es ist gar nicht so langweilig, wie es klingt, das hat er wirklich gut gemacht, der Ted Thompson. Der Roman handelt von einen Mann in schon fortgeschrittenem Alter, der aus seiner Ehe ausbricht, eine verblüffte Frau und ratlose Kinder zurücklässt, die längst selbst erwachsen sind. Nach kurzer Zeit kommt er zur Einsicht, einen Fehler gemacht zu haben, sucht einen Rückweg – und scheitert daran spektakulär. Die Frau ist bereits anderweitig bestens versorgt, die Kinder bleiben auf Distanz. Das ist erzählerisch feinstes Kunsthandwerk, durchkomponiert, genau richtig erzählt, da sitzt jedes Adjektiv, da passt jede Metapher, da wird jede Figur völlig angemessen in die Handlung eingeführt – und irgendwie ist es mir zu perfekt. Das ist so ein Schreibstil, der zweifellos gut ist, aber eher durch Fleiß als durch Ideen funktioniert, glaube ich. Wenn man dem Mann ein beliebiges Thema zuwirft und ein halbes Jahr wartet, dann macht er pünktlich einen Roman daraus, und an dem Roman wird dann auch noch alles richtig sein. So liest sich das. Ganz seltsam. Interessant, aber irgendwie auch befremdlich. Hier in der Zeit war eine längere Rezension.

Land der Gewohnheit

Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft

Das lyrische Stenogrammheft

Sehr angenehme Lektüre, im Herbst wäre sie vielleicht noch eine Winzigkeit besser temperiert gewesen. Eines der Lyrikbücher, die man gerne als Hauptmahlzeit durchgehen lässt. Wer Kästners etwas ernstere Gedichte mag, der wird auf jeden Fall auch diese lieben.

Wenn ich allein bin, ist das Zimmer tot.
Die Bilder sehn mich an wie fremde Wesen.
Da stehn die Bücher, die ich längst gelesen,
Drei weiße Nelken und das Abendbrot.

So fängt das Gedicht “Melancholie eines Alleinstehenden” an, und es ist doch immer wieder faszinierend, wieviel Elend in vier Zeilen passt.

Robert Seethaler: Der Trafikant

Der Trafikant

Das habe ich wieder wegggelegt, was aber gar nicht gegen das Buch spricht. Nein, das Buch ist völlig in Ordnung, es interessiert mich nur thematisch nicht, ich habe, warum auch immer, eine Aversion gegen historische Figuren, die in Romanen vorkommen. Ich mag keine Mutmaßungen über Freud, ich weiß gar nicht, wie das kommt. Gegen Mutmaßungen über Freud ist eigentlich nichts einzuwenden. Aber nun, man hat eben so seinen Geschmack. Gleich das nächste Buch von Seethaler bestellt, dazu in Kürze mehr.

Alles frisch. Neue Erzählungen aus Finnland, herausgegeben von Stefan Moster.

Alles frisch - Erzählungen aus Finnland

Das ist eine Anthologie finnischer Erzählungen, die hat mir gefallen. Man wird beim Lesen irgendwie den Kaurismäki im Kopf nicht los, aber das macht auch nichts. Ziemlich überraschend fand ich, dass etwa 90% des Buchs im Sommer spielen. Man denkt doch bei Finnland immer sofort an den Winter, nicht wahr? Der kommt im Buch aber quasi nicht vor, im literarischen Finnland ist immer Sommer, es ist immer hell und ein paar Meter weiter ist immer ein See, in dem man spontan baden kann. Mit einem geliebten Menschen etwa, der es dann aber nur noch zwei bis drei Ansätze durch die Geschichte schafft, bevor er von seinem Charakter oder den Umständen er- oder auch gleich zerlegt wird, so ist das eben in Finnland. Ich mochte das Buch, aus Finnland könnte man glatt mal mehr lesen.

Sapphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau. Aus dem Französischen von Birgit Leib. Das habe ich mir zum Indiebookday gekauft, ohne das Geringste über das Buch zu wissen. Aber es ist eine Vater-Sohn-Geschichte, das ist natürlich passend und es fängt gut an. Mehr als drei Seiten habe ich allerdings noch nicht geschafft.

Mein Vater ist Putzfrau

April – Gedichte. Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzel und Christine Schmidjell. Die Erklärung des Aprils überlasse ich Karl Krolow:

Uns gehören
die Tauben auf dem Dach.
Die Dose Bier
schmeckt wieder im Freien.
Nun muss sich alles, alles
wenden.

Wissen Sie noch früher, als wir Bier noch aus Dosen getrunken haben? Man merkt sogar an der Lyrik, wie man alt wird!

April Gedichte

Urs Widmer: Reise an den Rand des Universums

Urs Widmer Reise an den Rand des Universums

Das ist Urs Widmers Autobiographie. Mit dem jetzt schon berühmt gewordenen ersten Satz: “Kein Schriftsteller, der bei Trost ist, schreibt eine Autobiographie.” Widmer gehört zu den Autoren, von denen ich fast alles im Regal stehen habe und Widmer kann man schwer erklären, den muss man einfach mögen. Bei Widmer ist es immer irgendwie egal,. worum es geht, es ist so ein überaus freundliches, angenehm langsames Erzählen, bei dem man gar nicht recht merkt, wie es zugehen kann, dass es nicht banal ist. Wie macht er das? “Seine Sprache lässt uns mitschweben” steht auf dem Schutzumschlag. Und so ist es auch tatsächlich.

Christian Ankowitsch: Warum Einstein niemals Socken trug. Wie scheinbar Nebensächliches unser Denken beeinflusst. Das lese ich als Ebook auf dem Handy zwischendurch. Sehr kurzweilig, sagt man das überhaupt noch? Kurzweilig? Klingt komisch, merke ich gerade. Ein angenehmer Stil für ein Sachbuch, in so einem Stil würde man sich gerne die ganze Welt erklären lassen. Und es sind ein paar Kapitel drin, bei denen es zu einem fetten “Ha! Hab ich es doch immer schon geahnt!” reicht, und das ist natürlich angenehm, sich so bestätigt zu sehen. Die anderen Kapitel sind zwar ebenfalls lesenswert, aber so ein kleiner Triumph ist schon ganz nett. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Vorgelesen

Erhard Dietl: Mein Bilderbuchschatz

Mein Bilderbuchschatz

Das war die große Geschichtenliebe von Sohn II in diesem Monat, das Buch kann ich jetzt auswendig.

Victor Caspak & Yves Lanois: Die Kurzhosengang. Mit Bildern von Ole Könnecke, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Andreas Steinhöfel. Das liest die Herzdame gerade vor, ich habe es schon vor einiger Zeit mit erheblichem Spaß selbst gelesen. Das Buch wird empfohlen ab 10, bei uns kommt es auch mit 5 und 7 gut an, obwohl Sohn II vermutlich nicht alles versteht, aber das muss auch nicht unbedingt stören. Eine wilde Abenteuergeschichte, spannend, witzig, rasant, auch für den vorlesenden Erwachsenen höchst vergnüglich.

Die Kurzhosengang

Gesehen

Nichts. Macht nichts. Die Herzdame war aber mit den Söhnen in “Shaun das Schaf” im Kino und war sehr begeistert. Das ist natürlich toll, führt aber zu einem Problem, denn kleine Kinder, die im Kino waren und danach auf Personen stoßen, die nicht dabei waren, kommen auf die grandiose Idee, diesen Personen den Film zu erzählen. Und Fünfjährige können vieles, aber Filme erzählen – nein. Eine Filmszene, die von einem Fünfjährigen nacherzählt wird, verlängert sich mindestens um den Faktor 2. Und so ein Film hat verdammt viele Szenen.

Gehört

Die Herzdame hat einen Balboa-Tanzkurs gemacht. Und wenn ich schon nicht mitmache, möchte ich dennoch verstehen, was sie da so macht, also hab ich mir dazu ein Video angesehen. Das ist, wie man deutlich sieht, ein Tanz auf wenig Raum, der wurde in überfüllten Tanzsälen erfunden, man kann das ganz gut erkennen, finde ich. Viele Schritte, kein Platz.

Dass der Tanz überhaupt nicht einfach ist, erkennt man vielleicht besser in diesem Video:

Zwischendurch habe ich die Herzdame von einem ihrer Tanzkurse abgeholt, wo sie gerade mit Sohn II übers Parkett wirbelte, der diesen Sport sehr spannend findet. Da gab es Livemusik der Band von Ole, den wir einmal für “Was machen die da” in seiner Eigenschaft als Swing-Trainer interviewt haben. Und ich habe dabei wieder gemerkt, dass mir die Musik gut gefällt. Weswegen ich jetzt, wenn ich am Schreibtisch sitze, gerne in einem Browsertab diese Folge von Filmchen auf Youtube anmache, in der vergnügte Menschen zu ansprechender Musik durch fremde Städte tanzen. Ab und zu klicke ich dann beim Schreiben da hin und gucke ihnen kurz zu, wie sie durch Nashville, Sibirien oder Wien tänzeln – das hebt die Stimmung. Meine jedenfalls.

Und von dem Swing kam ich dann zu Johnny Hartman, den ich überhaupt nicht kannte. Ein Jazz-Sänger, hier ein Clip mit ihm. Keine Musik, die man gut nebenbei hören könnte, eher Stücke, bei denen man mal in Ruhe zuhören sollte. Es gibt ein berühmtes Album von ihm mit John Coltrane, sehr empfehlenswert.

4 Kommentare

  1. Ich lese diesen Blog schon sehr lange sehr gern. Und ich lese schon sehr lange Urs Widmer sehr gern. Was sich auch nicht geändert hat, nachdem ich mein Germanistikstudium mit einer Magisterarbeit über Widmer abgeschlossen und einen wunderbaren Abend mit dem Autor und mehreren Gläsern Bier verbracht habe. Gestern war sein erster Todestag, und ich bedaure es immer noch, dass dem geneigten Leser, der geneigten Leserin nun nichts übrig bleibt, als mit dem Lesen wieder von vorn zu beginnen.
    Warum schreibe ich das? Weil ich mich immer so sehr freue, wenn ich irgendwo anderen Widmer-Lesern begegne. Kommt ja nicht jeden Tag vor.
    Lila

  2. Vielen Dank für den Hinweis auf Mascha Kaleko. Ich freue mich immer wieder, dass es Menschen gibt, die diese Dichterin nicht vergessen. Im Moment bin ich selbst dabei, alte verlorene Leseschätze wieder zu entdecken. Es gibt nicht viele Dichterinnen, die wie sie oder Erich Kästner lesbar gereimtes nicht trivial sondern ins Herz gehend verfassen können. Herzliche Grüße Tanja Fründ

  3. Danke für deinen Post. Es sind interessante Titel dabei, die ich mir mal etwas näher anschauen werde. Holli

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