Ich nenne es Arbeit

Das Problem bei Kolumnen wie dieser besteht darin, dass man vor dem Schreiben ein wenig nachdenken muss. Nun ist Nachdenken im Prinzip eine feine Sache, ich würde das jederzeit empfehlen, ähnlich wie Sport. Aber genau wie beim Sport gilt auch beim Nachdenken: man kommt ja nicht dazu. Wenn auch aus anderen Gründen. Beim Sport liegt es an mangelnder Entschlusskraft und natürlich auch immer am Wetter, beim Nachdenken liegt es eher an der Optik. Man sieht beim Nachdenken nämlich nicht so aus, als würde man etwas tun. Man sieht eher so aus, als würde man da einfach nur sitzen. Man sitzt und guckt Löcher in die Luft, man sieht verfügbar und verwendbar aus. Man denkt angestrengt nach und man weiß, dass es Arbeit ist. Aber alle anderen denken: “Ach guck, er langweilt sich. Das können wir ändern!” Und sie bewerfen einen sofort mit Aufgaben und Arbeit und überhaupt mit Zumutungen aller Art, sie stellen Fragen nach weiteren, womöglich sinnvolleren Vorhaben, sie sitzen einem plötzlich plappernd auf dem Schoß. Letzteres immerhin nur, wenn es sich um meine Söhne handelt, ich will nicht übertreiben.

Aber wenn ich einfach nicht nachdenken kann, weil die anderen Menschen nun einmal so sind, wie sie sind, und wenn ich gar keine besonderen Menschen um mich habe, sondern solche, die jeder ähnlich um sich hat, also normale Familienmitglieder, Kollegen, Nachbarn – geht es dann am Ende nicht allen so? Hat nicht jeder immer jemanden neben sich, der jegliches Nachdenken gleich zu Beginn durch die Frage unterbindet, ob man jetzt mal Staub saugen könne? Oder Kaffee kochen oder die Buchungsbelege der Reisen von 2014 suchen? Denkt also am Ende niemals jemand wirklich nach – und ist die Welt nicht vielleicht gerade deswegen so, wie sie nun einmal leider ist? Denken Sie mal drüber nach!

Ach nee.

(Dieser Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

9 Kommentare

  1. Ach, das kenne ich gut! Bevor der Maler zum Pinsel, wie der Autor zur Computertastatur( Schreibmaschine,… war irgendwie lyrischer früher,aber da war auch mehr Lametta ), greift, muss auch er erstmal ein Bild im Kopf entstehen lassen. Sprich: er schiebt alles von da nach hier, wechselt imaginierte Farben, Formen ect. und genau!! in dem Moment, wo er am tiefsten tiefschürft … kommt immer das Gleiche: Maaaaaamaaaaaa? Weißt Du wo ….? Hast Du vielleicht …?Wann essen wir, gehen wir los, müssen wir zum ….. ect.pp., der Rest dürfte bekannt sein, der Künstler, ist wieder mal herausgerissen aus der tiefsten Kreativität, zurückbefördert in die Realität des Alltags durch den Schlachtruf der Familie. War wieder nix mit Meisterwerk. Na, vielleicht morgen! 🙂

  2. deshalb herrscht hier abends gerne: schweigen. weil jeder erwachsene seinen gedanken nachgeht. nur sind die abends oft nicht so produktiv,aber immerhin. einfach mal nur für sich sein.

    daß die welt so ist, wie sie ist, weil zu wenig nachgedacht wird – dessen bin ich sicher. und diejenigen, die (zu) laut denken, werden wahlweise erschossen, eingesackt oder sonstwie mundtot gemacht. denken stört die mächtigen der welt nämlich gewaltig. was uns aber nicht davon abhalten sollte, es zu tun!!!

  3. Manche mieten sich sogar einen Gewerberaum zum Nachdenken, um nicht in die beschriebene Situation zu geraten, geht ja leider nur, wenn das Nachdenken auch lukrativ genug ist. Oder wie Thomas Mann es gemacht hat, keines der Kinder durfte ihn in seinem Arbeitszimmer stören. Nur so ein Arbeitszimmer muss man erst einmal haben, wobei wir wieder bei der Lukrativität wären. Es ist nicht einfach!

  4. Lieber Herr Buddenbohm, eine sehr interessante Frage, ob eigentlich irgend Jemand mal nachdenkt. Dabei ist es so sinnvoll, sich einfach mal hinzusetzen und nachzudenken. Sogar zwei Stunden lang. Ich kann das sehr empfehlen, am Schluss kommen nämlich immer die besten Dinge dabei raus. Nur leider fange ich nach ca. 2 Minuten an, doch nochmal den Kontostand zu checken, und die Wäsche ist auch auf einmal fertig. Danke für schöne Kolumne.

  5. Da gibts nur eins: Du musst beteiligter wirken bei der Arbeit mit dem Kopf. In der Nähe von Staubsaugern und schmutzigem Geschirr fange ich automatisch an schwer nachzudenken. Zu Schopenhauern. Schnute ziehen wie Einstein. Ach, der hat zu tun. Na, dann mach ich das lieber mal schnell. (Frauen und ihr Hang zu praktischen Lösungen: ausnutzen.) (Mit Kindern natürlich schwerer.)

  6. Lieber Herr Buddenbohm,

    daß Sie vorher eine Nachdenkeinheit benötigen, liegt vielleicht daran, daß Sie auch auf Kommando und Termin schreiben müssen.

    Das ist einzige Vorteil des brotlosen Bloggens: man schreibt nur dann, wenn es aus dem Kopf in die Tasten drängt. Mir geht es zumindest so: es quillt heraus und bevor ich es nicht getippt habe, kann ich mich auf nix mehr konzentrieren.. 😉

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