Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im November

Gelesen

Alice Munro: Tricks. Acht Erzählungen. Deutsch von Heidi Zerning. Doch, man versteht dann schon, wieso sie den Nobelpreis bekommen hat. Das habe ich in den letzten Jahren nicht bei jeder Nobelpreisverleihung gedacht, aber die Munro geht in Ordnung. Ich kannte sie vorher überhaupt nicht, habe nur nach der Nachricht mit dem Preis kurz recherchiert, wer das ist und was sie so schreibt und fand es interessant. Wunderbar elegant gedrechselte Erzählungen, ruhig erzählt, in einem leisen, in der Wirkung oft gemeinen Tonfall. Tragisch und wie nebenbei, Geschichten aus der Nachbarschaft, ich mag so etwas. Im November aber vielleicht doch ein klein wenig zu deprimierend.

Ota Pavel: Der Tod der schönen Rehböcke. Deutsch von Elisabeth Borchardt. Bilder von Kitty Kahane.
Der Tod der schönen Rehböcke

Das sind Erinnerungen an einen Vater (nicht der Mann auf dem Bild), Liebeserklärungen an einen Vater. An einen Vater, der Staubsaugervertreter war, ein Freund des Angelns und der Fischzucht, der schönen Frauen und des Jobwechsels. Lauter Lieben, die sich nicht unbedingt positiv gegenseitig beeinflussen, man kann eben schlecht Staubsauger verkaufen, wenn man dringender zum Angeln muss. Ein Jude im besetzten Böhmen, einer, der überlebt. Lidice als Nachbardorf, man hört eines Tages die Schreie, dann fehlen Kinder in der Schule. Die Familie teilweise im Lager, der Vater ein fast furchtlos durchhaltender Lebenskünstler, der Kühlschränke verkauft und Fliegenfänger, der die Besatzer im Alltag austrickst. Der Karpfen züchtet, Schweine, Kaninchen, der jede neue Aufgabe mit Hingabe und Begeisterung angeht. Einer, der mehrfach sehr schnell reich wird, noch schneller immer wieder arm. Ein besonderer Vater, kein Zweifel. Das ist kurz, das hat man schnell durch, das liest man gerne in einem Rutsch, denkt aber doch noch länger daran.

Jean-Yves Ferri/Didier Conrad: Asterix bei den Pikten. Deutsch von Klaus Jöken. Der neue Asterix ist in den Medien kontrovers besprochen worden, ich finde ihn ganz entschieden so mittel. Kann man lesen, muss man aber nicht. Zeichnerisch sicher gut wie früher, für den Sprachwitz lässt sich anscheinend keine sinnige Fortsetzung finden, man begreift es nicht recht, was daran so unlösbar sein soll. Also das ist schon alles gut auszuhalten und hat auch ein paar gute Stellen, doch, doch. Aber auch etliche eher blöde. Dieses sinnlose Popsonggestammel? Die unverbunden durch die Story eiernde Figur des Volkszählers? Das Spiel mit den Vorurteilen gegenüber anderen Nationen war früher viel witziger und auch gewagter. Wenn man da an Korsika denkt, “hast du meine Schwester beleidigt?”, das ist doch ein anderes Niveau. Na, egal. Schon ganz nett, doch, doch.

Martin Suter: Die Zeit, die Zeit. Das habe ich mir gekauft, als ich für einen Tag nach Basel reiste, weil ich es nett fand, dabei einen Schweizer zu lesen. Allerdings war mir nicht klar, wie sehr der Herr Krimis schreibt, ich dachte, das seien eher andere Romane. Es ist aber ein Krimi, ich mag keine Krimis. Das soll keine Abwertung sein, Krimis sind völlig in Ordnung, sie liegen mir nur einfach nicht. Dennoch durchgelesen. Ich mochte weder die seltsam blutleere Sprache, noch die Idee, die dann doch vielversprechender anfängt, als sie durchgezogen wird, noch die Auflösung. Ich kann mit sehr konstruierten Geschichten einfach nichts anfangen.
Das verborgene Wort

Ulla Hahn: Das verborgene Wort. Die Überraschung des Monats, ein großartiges Buch. Nachkriegskatholizismus in der Nähe von Köln, ein Mädchen fällt in einer Arbeiterfamilie aus dem Rahmen, weil sie es mit der Sprache und den Büchern hat und auf eine weiterführende Schule will. “Athmosphärisch dicht” nennt man die Sprache der Autorin wohl unweigerlich im Feuilleton und was soll man machen, das ist sie auch. “Lommer jon”, lass uns gehen, das sagt der Großvater am Anfang des Buches zum kleinen Mädchen am Rhein und dann gehen sie erstens am Fluss entlang und zweitens in die Geschichte hinein und man geht wirklich gerne mit. Meine Mutter, eine Düsseldorferin, hat mir das Buch empfohlen, die erzkatholische Familienstimmung war ihr nicht fremd, die kenne ich auch aus ihren Erzählungen, bis hin zum Tonfall der Hauptpersonen. Eine Stimmung über der Familie, die man sich in ihrer Radikalität und auch in ihrer absurden Logik, Strenge und Kälte kaum noch vorstellen kann. Als Norddeutscher schon gar nicht. Wirklich ein wunderbares Buch. Bin zwar erst beim zweiten Drittel, aber schlechter wird es wohl nicht mehr. Lange nichts mehr so gerne gelesen.

Françoise Sagan: Ich glaube, ich liebe niemanden mehr. Zeichnungen von Bernard Buffet. Deutsch von Waltraut Schwarze, was der Verlag (Aufbau) auf seiner Webseite übrigens nicht angibt, wofür er sich schämen sollte. Tagebuchaufzeichnungen aus dem Krankenhaus, wo sie nach einem sepktakulären Autounfall lag und mit Schmerzmitteln so vollgepumpt wurde, dass sie lebenslang drogensüchtig blieb. Keine unentbehrlichen Texte, wenn man nicht gerade verbissener Hardcore-Fan der Sagan oder Experte für Suchtprobleme ist, aber die Zeichungen! Die Zeichnungen! So ein großartig illustriertes Buch. Wirklich beeindruckend.

Sagan-Einband

Sagan

Sagan-Detail

Vorgelesen

Das kleine Gespenst

Otfried Preußler: Das kleine Gespenst. Mit Zeichnungen von F.J. Tripp. Das fand ich viel unterhaltsamer als den kleinen Wassermann. Der hier aber übrigens noch deutlich nachwirkt, denn Sohn I bat neulich, ich möge mit ihm nicht immer reden, wie die Mutter des kleinen Wassermanns. Betrachten wir das einmal als den Beginn einer literarischen Bildung.

Axel Scheffler/Julia Donaldson: Stockmann. Deutsch von Wiglaf Droste und Stefan Maelck. Ich finde die Übersetzung grauenvoll, das ist ein ganz schlimmer Fall von “Reim dich oder ich quäl dich”, ich lese das Buch nur in Notwehr vor, wenn Sohn II wirklich sehr, sehr dringend darauf besteht. Also etwa täglich. Aber nette Bilder, keine Frage.

Stockmann

Thomas M. Müller: Apfelsaft holen.

Apfelsaft holen

Der Monatsfavorit von Sohn II. Über einen Familienjüngsten, der ganz alleine in den Keller geschickt wird, um Apfelsaft zu holen. Der sich also ganz alleine den Monstern, Spinnen und Gruselgeräuschen dort unten stellen muss, um endlich erfolgreich mit dem Saft an den Küchentisch zurückzukehren. Quasi ein Heldenmythos, das ist ganz klar etwas für furchtlose Kinder. Also für Sohn II.

Gespielt

Gar nichts. Schlimm.

Gesehen

Gar nichts. Nicht schlimm.

Gehört

Ein kleines Novemberlied, zufällig gefunden und so nett und hintergrundgeeignet gefunden, dass es hier quasi pausenlos lief.

Außerdem wieder viel Wader singt Schubert und nein, das muss man nicht verstehen. Ich bin da eigensinnig, ich liebe diese Aufnahmen.

Mit Sohn I außerdem einiges von den Beatles. Das begann mit einer seltsamen Gesprächssituation im Auto, als im Radio “All you need is love” kam und ich darauf hinwies, dass dieses Lied von den Beatles sei, wichtige Gruppe und so weiter, Musikgeschichte, Liverpool, Beat und Pop, manchmal geht es ja mit einem durch und man doziert so ungebremst vor sich hin, Eltern kennen das. Und Sohn I beugte sich von seinem Kindersitz vor, hörte konzentriert zu und fragte dann: “Die Beatles? Haben die nicht mal in Hamburg gespielt? Unten am Hafen irgendwo? Dann kenne ich die.” Aber noch bevor ich mich über den schönen Beweis für die Reinkarnationstheorie freuen konnte, wies mich die Herzdame darauf hin, dass die Beatles in irgendeinem Kinderhörspiel vorkommen, daher also die musikgeschichtliche Grundausbildung des Sohnes, nicht aus eigener Anschauung. Er wollte dann noch ein paar Aufnahmen von den Beatles sehen, wollte wissen, wieso der eine erschossen wurde, was die lebenden beiden heute machen etc., da dankt man dem Himmel für Youtube und das man so vieles zeigen kann. Zu und zu toll. Man sieht es ja auch selbst gerne noch einmal. Hier etwa mit Paul im Hipsterlook. Oder hier, da sieht man mal, was aus den beiden Überlebenden geworden ist.

 

7 Kommentare

  1. vielen Dank, vor allem auch sehr schöne Bücherbilder.
    Das waren noch Zeiten, als Axl Rose nur knackig und schlank war…

    nur das mit dem Rückgratbrechen bei Büchern: Geht ja gar nicht.

  2. Das verborgene Wort ist auch meine Entdeckung der letzten Wochen gewesen. Eindrucksvolle und bewegende Erzählung. Es handelt sich um eine Trilogie, wobei Band 3 noch geschrieben wird. Band 2 wird unter dem Baum liegen. Ich freu mich schon.

  3. oh ja, das verborgene Wort ist ein wunderbares Buch, dies war vor Jahren auch mein Buch des Jahres. Es beschäftigt mich heute noch. Es ist Teil einer Trilogie, ich habe den zweiten Band auch gelesen (Aufbruch), ich glaube, den dritten Band gibt es noch nicht?
    Absolute Leseempfehlung. Auch der Film (Teufelsbraten) ist gut, auch wenn er natürlich nie ans Buch rankommt.

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