Hamburger National

Hamburger National

Hamburger National, das klingt natürlich so, als müsse es hier jeder kennen, als gäbe es das hier in jedem Imbiss. Dem ist durchaus nicht so. Ich möchte eher sagen: das kennt hier kein Mensch. Also abgesehen von den üblichen Verdächtigen wie Foodbloggern, Kochbuchautoren und Chefkochkommentatoren, versteht sich. Das macht aber nichts, das kenne ich schon, ich habe auch als Erwachsener erst gelernt, dass es ein Lübecker National gibt, der Begriff ist mir in meiner ganzen Lübecker Kindheit und Jugend niemals begegnet. Das Lübecker National ist dem Hamburger National übrigens artverwandt, wird aber karottiger gekocht und ist ohne Schweinefleisch für mich schwer vorstellbar. Das Hamburger National hat keinen eigenen Wikipedia-Eintrag, kommt aber im Kochbuch vor, um das es hier geht. Auch was wert!

Es handelt sich um ein Gericht mit der Hauptzutat Steckrübe und ja, ich weiß, das ist in Bayern Viehfutter, geschenkt, Sie müssen das nicht kommentieren. Mit der Steckrübe muss man anscheinend groß geworden sein, um sie richtig zu schätzen, womit die Herzdame hier auch für heute ausfällt. Aber egal, ich als geborener küstennaher Norddeutscher finde Steckrüben super, ich bin nachdrücklich für den Erhalt von Steckrübeneintopfrezepten und deswegen sehr angetan von dem Rezept hier. Wobei wir allerdings feststellen müssen, dass die Steckrübe als solche nur mäßig fotogen ist, wenn man es freundlich ausdrücken möchte. Sie ist, da gibt es nichts zu leugnen, nicht das hübscheste Gemüse. Aber da stehen wir drüber, kultivierte Menschen haben es ohnehin eher mit den inneren Werten, also denken wir nicht länger über die spröde Erscheinung der Knolle nach und schälen und würfeln das Ding einfach, dann wird es schon goldiger und viel netter.  600 Gramm Steckrübe sollen es nach Rezept sein, ich habe einfach eine große Rübe genommen. 400 Gramm mehlig kochende Kartoffeln, also ein paar weniger, als die Steckrübe wiegt, mehr Genauigkeit braucht kein Mensch. Auch die Kartoffeln schälen und würfeln. Zwei Zwiebeln, auch schälen und würfeln, das ist dann schon Routine. Gemüse in Butter glasig dünsten.

Hamburger National

Währenddessen sechs Pimentkörner, zwei Gewürznelken, sechs schwarze Pfefferkörner und einen halben Teelöffel Kümmelsaat im Mörser zermahlen. Wenn man keinen Mörser hat, wie ich also, kann man die Gewürze mit einer seit Jahren herumstehenden Weinflasche auf einem Brett plattwalzen, dann hat die Pulle endlich einmal Sinn, das ist auch schön. Die zerstoßenen Gewürze zum Gemüse geben, zwei Lorbeerblätter noch dazu. Mit Brühe auffüllen bis es passt und schwimmt, mindestens 15 Minuten kochen. Wer sich mit Piment nicht auskennt, möchte vielleicht mit weniger als sechs Körnern anfangen, das würzt eher stark und ist nicht jedermanns Sache.

Während die Suppe kocht: einen Bund Petersilie, einen halben Bund Dill, die Blätter von vier Zweigen Majoran und zwei Zweigen Bohnenkraut zerlegen und zerhacken. Das dauert überrraschend lange, vielleicht denken Sie sich diesen Absatz besser etwas weiter oben.

Die Gewürze sämtlich zur Suppe geben, mit ordentlich (wirklich!) Zucker, einem Schuß Kräuteressig und Salz abschmecken.

Hamburger National

Das sind viele Gewürze, das ergibt eine tolle Brühe, da weiß man gar nicht, in welche Richtung man zuerst schmecken soll, weil mit jedem Löffel etwas anderes durchkommt. Auf die Mischung wäre ich so nie gekommen, aber das ist klar besser als meine bisher gekochte schlichte Variante mit Piment, Pfeffer, Salz und Zucker, das ist wirklich viel, viel besser.

Der Herzdame war die Steckrübe trotzdem noch zu durchdringend, aber sie hat, wie bereits festgestellt, keine Ahnung und scheidet hier als Maßstab für heute aus. Nordostwestfalen können vieles, Steckrübensuppe können sie nicht und von einem Nordostwestfalen National hat noch niemand etwas gehört.

Die Söhne hätten die Suppe vermutlich gemocht, mussten aber heute auf besonderen Wunsch von Sohn I Spaghetti essen. Mit ohne was dabei. Er hat nämlich seinen ersten Wackelzahn und brauchte die Nudeln dringend, um sie um seinen Zahn zu wickeln, damit herumzuspielen und etwas daran zu ziehen, das muss man natürlich verstehen, das ist wichtig. Die Nudeln waren schon seit drei Tagen zugesagt, die mussten heute endlich sein, Suppe hin oder her.  Und wenn Sohn I Nudeln bekommt, dann muss Sohn II natürlich auch welche bekommen.

Hamburger National

Dass die Nudeln für den Wackelzahn dem Begriff „al dente“ einen ganz neuen Sinn geben, das fand hier wiederum nur ich witzig, manchmal fühle ich mich im familiären Kreis ein klein wenig unverstanden. Schlimm.

Zur Suppe trank ich ein Urstrom-Bier, ein wirklich herausragend gutes Biobier, das ziemlich malzig schmeckt. Das passt allerdings nur zur Suppe, wenn man mit dem Zucker nicht geizig ist, dann aber richtig.  Das Kochbuch empfiehlt ein herbes Bier und/oder Aquavit, das ist selbstverständlich auch nachvollziehbar.

Und morgen schmeckt es aufgewärmt noch besser, etwas Vorfreude schadet gerade im November nicht.

Hamburger National danach

 

13 Kommentare

  1. Nein, nein, nein! Mit dem sicher gut gemeinten und zu meinem Leidwesen viel zu oft wiederholten Ansinnen der („Schon dein Ur?-Großvater!“) Steckrüben-Sozialisation groß geworden, möchte ich in diesem speziellen Falle doch dem offenbar durchaus sensiblen nordostwestfälischen Gaumen das Wort reden. Mit Pfeffer, Nelken und Piment versteht das Rezept zwar zu bestechen, dennoch gehen Steckrüben eigentlich nur in einem über Jahre erprobten Kartoffelverhältnis von mindestens 1:6 – und am Besten in atomisierter Form. Noch besser übrigens gleich ganz ohne Steckrüben, alles andere kann bleiben, dann schmeckt auch ein Steckrübengericht.

  2. Nachdem ich ein Franke mit teils norddeutscher teils sächsischer Abstammung bin ist mir das Steckrübengericht durchaus als Mahlzeit bekannt. Richtig zubereitet durchaus schmackhaft.
    Steckrüben hierzulande käuflich zu erwerben stellt sich allerdings als durchaus schwierig heraus.
    Die mußen wir uns zumindest früher immer auf dem ein oder anderen Feld besorgen- auf dem Viehfutter angebaut wurde.

  3. Das klingt total super! Ich habe, als Mensch mit süddeutscher Kindheit, die Steckrübe erst dieses Jahr für mich entdeckt, und da kommt sowas grade recht.

    Und mein Gewürzregal muss ich eh mal auffüllen, Piment hab ich nämlich gar nicht.

  4. Der Südostwestfale (fast im Sauerland) kennt die Steckrübe sehr wohl und isst es als Eintopf (Suppe macht nicht satt). Mit Schinkenspeck und Mettenden und evtl auch noch Kassler. Westfälisch ist nicht vegetarisch. Da ist die Herzdame nur zu weit nördlich geboren. Übrigens gibt es hier im Frühjahr und Herbst auch noch Stielmus oder Rübstiel.

  5. Also mein Mann und ich…beide wirklich nichtmal annähernd so westlich geboren wie ein Südostwestfale…kennen die Rübe auch nicht aus der Kindheit. Dafür wohnen wir aber in einem Rübenanbaugebiet, auch wenn es hier das Teltower Rübchen ist. Dadurch angespornt auch andere Wurzelgemüse zu testen sind wir auf die Rübe gekommen und finden sie göttlich. Werde das Rezept demnächst mal anwenden (auch wenn mich das mit dem Zucker doch arg irritiert aber mein Mann ist da sehr experimentierfreudig)
    Ich musste über die dentale Dimension der Nudeln auch lachen 🙂

  6. bisher stille Leserin muss ich mich heute Mal dafür bedanken, dass ich schon am frühen Morgen so herzhaft lachen durfte: die Nudel-Zahn-Geschichte ist zu köstlich und hat mich wieder an Zeiten erinnert, in denen meine 3 noch solche ‚Probleme‘ hatten.

    Danke für die immer so wunderbar geschriebenen Beiträge hier!

  7. Im Lippischen – und das dürfte nicht allzu weit weg sein von Nordostwestfalen – kennt man auch Steckrüben-Gerichte: z.B. Lippische Ananas oder Steckrüben-Puffer.

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