Besser scheitern (2): Blechbetrachtungen

Nach dem Besuch der Ausstellung “Besser scheitern”, über die ich hier schon etwas geschrieben habe, ging ich mit einigen der beteiligten Bloggerinnen noch bei mir um die Ecke etwas essen, dabei kamen wir an einem Kunstwerk im Stadtteil vorbei, hier unten im Bild. Und das war dann mein zweites Aha-Erlebnis zur Kunst an diesem Tag.

Unbenannt

Während es in meinem ersten Text darum ging, wie sehr mir eine kleine Erklärung den Zugang zur Kunst erleichtern kann, muss ich jetzt noch etwas zum Faktor Zeit und zu Meinungen allgemein sagen, sonst ist das nicht vollständig. Und dazu muss ich ein wenig über diese rostigen Bleche erzählen. Das sind Schiffsbleche, die hat ein Künstler namens Horst Hellinger da hingestellt. Nicht zu verwechseln mit Bert Hellinger, der stellt zwar bekanntlich auch etwas auf, aber nur Familien – und das ist viel kunstloser. Horst Hellinger also hat diese Schiffsbleche da hingestellt, zum mahnenden Andenken an die sterbenden Werften im Hamburger Hafen. Das sind echte Schiffsbleche, die sind enorm tief verankert und rosten da vor sich hin. Ein ganzes Rudel davon steht da herum. Manchmal werden sie besprüht, mit Farbe beworfen, mit Edding beschriftet, beklebt, plakatiert, die Stadt lebt deutlich auf ihnen herum. Flaschen zerschellen immer wieder an ihnen, manchmal Bier, manchmal Champagner, seltsam oft Wodka. VerlaufeneTouristen pinkeln oder kacken zwischen sie, Hunde sowieso. Immer wieder finden da auch Foto-Shootings statt, blasse, ätherische Models neben den kräftigen Farben und angerauten Umrissen der Bleche, das hat etwas. Der Satz “Duhu liebt sein Monster”, der schon verblüffend lange auf einem der Bleche zu lesen ist, er muss auf zigtausenden von Fotos zu sehen sein. Falls Duhu sein Monster immer noch liebt, ob die beiden ab und zu davor stehen und “weißt du noch?” murmeln?

Als ich vor dreizehn Jahren in unser kleines Bahnhofsviertel zog, fand ich diese Skulptur wahnsinnig hässlich. Geradezu grotesk, abstoßend, kunstlos, dummes Zeug. Das konnte weg, das war klar – und so dachten sehr viele Menschen im Stadtteil, da war ich damals ganz mainstream, das war ein netter kleiner Smalltalk-Aufreger. Verschandelung des öffentlichem Raums, ich hätte da seitenlang drüber schimpfen können. Heute wären mir die Texte unerträglich, hätte ich sie denn geschrieben.

Dann sollten die Bleche plötzlich tatsächlich weg, ein Lokalpolitiker betrieb energisch die Entsorgung des Kunstwerks, das sollte der Gastronomie weichen. Auf dem Platz sollten Stühle für die Touristen stehen, keine Bleche zum Gedenken an irgendwas. Kasperkram Kunst! Konstuktiver Kommerz! In Hamburg entscheidet man da immer schon gerne stringent. Aber der Lokalpolitiker hatte die Rechnung ohne die Bewohner des Stadtteils gemacht, die das Kunstwerk seltsamerweise mittlerweile liebgewonnen hatten. Ich übrigens auch, ich blieb mainstream. Das sollte jetzt auf keinen Fall weg, das Blech, das musste sogar unbedingt da bleiben, das musste weiter mahnen und hässlich sein, nach Arbeit aussehen und Hafen, nach Werft und Maloche, nach Handwerk und Alltag. Denn mit der rapide fortschreitenden Verschnöselung des Stadtteils (the process formerly known as gentrification) sah man die Bleche plötzlich ganz anders, man verstand sie jetzt, entweder zum ersten Mal oder anders als vorher. Jetzt war es Kunst und ein Zeichen und übrigens immer schon da, genau wie die alteingesessenen Einwohner. Es war wichtig und tatsächlich mahnend und nein, das konnte nicht weg, durchaus nicht, und es kann bis heute nicht weg. Da ist kein Platz für die Außengastronomie, das ist Platz für die Kunst – basta.

Denn Meinungen ändern sich. Meine Meinung, die Meinung der Anwohner, Ihre Meinung, alle Meinungen ändern sich. Durch die Zeit, durch die Mode, durch Argumente. Na gut, letzteres eher selten. Im Grunde ist eine Meinung ein äußerst wackeliges Gebilde, auch wenn sie noch so festgemauert erscheint. Dem Herrn Buddenbohm von vor zehn Jahren würde ich jetzt einen Vogel zeigen, seine Meinung war falsch, er war ein Idiot, nicht wahr? Nein, war er nicht. Er war nur ein Mensch mit einer anderen Meinung. Meinungen werden entsetzlich überschätzt, das ganze Herummeinen wird viel zu hoch gehängt, besonders in diversen Blogs zur Zeit. Über Meinungen kann man nur streiten, wenn man den Humor und die Selbstironie behält, und sonst sollte man um Gottes willen die Klappe halten, denn womöglich meint man morgen etwas anderes. Meinungen sind Spielzeug, man kann sie drehen und wenden und zack, sehen sie anders aus. Sie verfärben sich je nach Wissensstand, Gesellschaft und Umgebung, es lohnt nicht, sich deswegen an die Kehle zu gehen.

Meinungen sind egal, was zählt, ist die Haltung. Ich gehe zur Wahl und wähle gemäß meiner Meinung, und die wechselt vielleicht von Wahl zu Wahl. Aber dass ich da jedes Mal wieder hingehe, zu der Wahl, das ist eine Frage der Haltung. Ich kann in Blogs irgendwelche Meinungen kommentieren, in dem ich meine Meinung dazu schreibe, ich kann da hin und her diskutieren und Argumente ohne Ende aufzählen. Aber es ist eine Frage der Haltung, das nicht beleidigend zu tun. Ich finde es auch völlig in Ordnung, keine Meinung zu haben oder meine Meinung nicht sehr wichtig zu finden oder zu wissen, dass die eigene Meinung zu irgendwas auf schwachen, auf ganz schwachen Füßen steht. Aber es ist niemals in Ordnung, keine Haltung zu haben.

Es ist, das wollte ich eigentlich sagen, pardon, ich kam etwas vom Weg ab, auch im Museum oder in einer Kunstausstellung gut und interessant, die eigene Meinung mit Skepsis zur Kenntnis zu nehmen. Besonders wenn die Ausstellung “Besser scheitern” heißt und man an den ausgestellen Arbeiten wirklich grandios scheitern kann, wenn man sie mit vorgefassten Meinungen betrachtet. Um seine Meinungen zu elementaren Themen des Lebens wie dem Scheitern, dem Wiederanfangen, dem Dennoch, dem Aufgeben etwas durchschütteln zu lassen, dafür ist die Ausstellung aber wirklich bestens geeignet und ich möchte sie nachdrücklich empfehlen.

In Kürze werden hier Karten dazu verlost.

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