Jemand

Die Herzdame sitzt auf dem Sofa und sagt: “Jemand müsste den Müll runterbringen.” Das ist ein Satz, der nicht das heißt, was man denken könnte. “Jemand” könnte in diesem Haushalt zunächst 4 Personen meinen, man könnte es fast für einen ergebnisoffenen Satz halten. So ist es aber gar nicht. Denn Sohn II ist zu klein, er kann den Müll noch gar nicht runterbringen. Er kriegt die Haustür nicht auf, um ihn kann es also nicht gehen. Sohn I könnte das aber neuerdings. Mit etwas Klettern am Spalier des Mülltonnenhäuschens und etwas Hangeln gelingt es ihm jetzt endlich, den Müll richtig einzuwerfen. Aber wäre er gemeint gewesen, die Ansprache wäre viel fröhlicher gewesen, motivierend und euphorisch. Etwa so: “Hast du nicht große Lust mir zu zeigen, wie du ganz alleine so toll mit dem Müll fertig wirst, mein Großer?” So etwa hätte sie ihn angesprochen. Nein, Sohn I kann auch nicht gemeint sein. Bleiben nur noch 2 Personen übrig, nämlich die Herzdame und ich. Sie wird sich aber sicher nicht selbst gemeint haben. Hätte sie sich gemeint, sie hätte sofort die Mülltüte genommen und wäre einfach damit zum Fahrstuhl gegangen. Sie hätte Tatsachen geschaffen. Sie ist so.

Da bleibt dann nur noch eine Person übrig, und das bin wohl ich. “Jemand müsste mal den Müll runterbringen” ist nur eine andere Ausdrucksweise für “Los, bring den Müll runter”. Das könnte mich ärgern, darüber könnte ich mich aufregen. Ist es denn nicht unverschämt, “jemand” zu sagen und sich dabei implizit auszuschließen? Ist es nicht anmaßend? Aber nein, ich ärgere mich gar nicht. In diesem Haushalt geht es nämlich immer um mich, wenn das Wort jemand fällt – und ich freue mich sogar darüber.

Denn egal, was mir in diesem Leben noch alles passieren wird – ich weiß doch ganz sicher, dass aus mir jemand geworden ist.

Dieser Text erschien als Sonntagskolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)

9 Kommentare

  1. Durchhalten…
    So in etwa 10 bis 12 Jahren sind auch die Jungs „Jemande“, und zwar voll in der Pubertät. Spätestens dann lernen Herzensdamen die direkte Ansprache, weil pubertäre Synapsen „Jemand“ immer als „Niemand“ interpretieren.
    Bis dahin gibt es von mir den üblichen Mitleids-Flausch. ;o)

  2. Beim Bund hat mein Hauptfeldwebel Aufträge an mich immer mit den Worten „Wir müssen mal“ begonnen.

  3. Bei uns heißt es „Wir müssen mal…“ oder „Was kochen WIR denn heute?“
    Wir nehmen uns da tatsächlich beide nichts, denn sowohl er als auch ich sagen das so.

  4. „jemand“ und „mal“ – In diesem Haus die Garanten dafür, dass alles bleibt wie es ist.

  5. Hier heißt es „Der Müll muss noch raus.“ in der stillen Hoffnung, dass er das vielleicht alleine schafft, wenn man nur lange genug wartet.

  6. meine eltern hatten einen architekten, der hiess niemand. immer, wenn er bei uns anrief und meine mutter hob ab, rief sie meinen vater, da ist der herr niemand am telefon!, und mein bruder und meine schwester und ich lachten um die wette, weil, war ja keiner dan.

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